"Meine Freundin ist abhängig von mir"

 

Stefan, 33: Meine Freundin ist, glaube ich, abhängig von mir. Sie ruft jeden Tag an, sie kommt mindestens jeden zweiten Tag zu mir, sie hat mir neulich einfach so ein Gemälde geschenkt, nur weil ich gesagt habe, das gefällt mir. Ich weiß nicht, wie ich ansprechen soll, dass ich das Gefühl habe, dass es bei uns ein Ungleichgewicht gibt. Auf der anderen Seite sind wir nach außen hin ein super Paar, unser Sex ist gut und auch die gemeinsame Zeit ist an sich gut. Aber wenn ich sage, ich brauche Zeit für mich, wird sie wütend. Haben wir eine Zukunft?

 

 

Hallo Stefan,

 

tatsächlich lässt sich der Zustand des Verliebtseins bei Menschen im Gehirn beobachten, genauer gesagt im Belohnungszentrum, also in dem Bereich, welcher auch bei dem Konsum von Drogen aktiviert wird. Wann man in einer Beziehung von einer Abhängigkeit, oder Sucht sprechen kann, ist umstritten. Wenn Sie schreiben, Ihre Freundin wird sehr ärgerlich, wenn Sie ihr sagen, Sie bräuchten etwas Zeit für sich, kann es sein, dass diese Aussage in ihr eine große Verlustangst auslöst, auf die sie mit Wut reagiert. Ausgehend von Ihrer Beschreibung könnte man vermuten, sie ist sehr um Sie bemüht und scheint viel dafür zu tun, um Ihnen zu gefallen und Sie an sich zu binden. Angenommen, Ihrer Freundin neigt also tatsächlich dazu, in Beziehungen in eine Art Abhängigkeit zu gehen, macht ihr Verhalten durchaus Sinn.

 

Meiner Erfahrung nach gibt es aber immer zwei Seiten und daher interessiert mich, was genau Sie selbst an dieser Beziehung reizt. Eine andere, vielleicht etwas provokante Frage wäre: Was macht Ihnen denn eigentlich Angst? Sie beschreiben eine Frau, die Ihre Gesellschaft schätzt, Ihnen gerne eine Freude macht und aufmerksam ist, Sie verbringen eine tolle Zeit miteinander und auch auf der körperlichen Ebene scheinen Sie zu harmonieren.

 

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich nehme Ihr Gefühl, dass etwas nicht stimmt, ernst. Ich möchte Sie nur dazu ermuntern, weniger die Fehler bei Ihrer Freundin zu suchen und sich stattdessen selbst zu hinterfragen. Was hat es eigentlich mit Ihnen zu tun, dass Sie in dieser Beziehung sind, auch wenn es Aspekte gibt, die sich nicht gut anfühlen. Wie genau stellen Sie sich eigentlich eine Beziehung vor, wieviel Zeit möchten Sie mit der Person verbringen, könnten Sie sich z.B. vorstellen mit Ihrer Freundin zusammenzuwohnen, oder macht diese Vorstellung Ihnen eher Angst? Wenn Sie für sich Antworten auf diese Fragen gefunden haben, gehen Sie unbedingt noch einmal in ein Gespräch mit Ihrer Freundin. Denn wenn es tatsächlich dieses Ungleichgewicht in Ihrer Beziehung gibt, ausgelöst durch Abhängigkeiten, oder einfach durch eine unterschiedliche Vorstellung davon, wie Sie Beziehungen leben möchten, ist es für Sie beide wichtig, offen darüber zu kommunizieren. Dann haben Sie beide die Möglichkeit sich für, oder gegen eine gemeinsame Zukunft zu entscheiden.